Entwicklung einer Smart-City-App: Das muss man als PO beachten

Was ist eine Smart City? Wer steht im Zentrum dieser neuen Form der Vernetzung von Menschen und Dingen im urbanen Lebensraum? Und was muss man bei der Entwicklung der zugrundeliegenden Nutzerplattformen beachten? Lesen Sie hier Teil 1 einer Artikelserie zu einem der spannendsten Technologiethemen unserer Zeit.

Smart City: zukunftsorientierte Konzepte

Wer heute „Smart City“ sagt, meint damit meist technologische Konzepte, mit deren Hilfe das Leben in den Städten effizienter, umweltfreundlicher, sozialer und fortschrittlicher werden soll. Diese Smart-City-Konzepte können ganz verschiedene Projekte und Lösungen beinhalten: von Car Sharing, Fahrradverleih- und Verkehrsüberwachungssystemen über digitale Verwaltung, Online-Behördengänge, Parksysteme und intelligente Abfallwirtschaft bis hin zu vernetzten Gebäuden und Straßenlaternen mit Notrufknöpfen. Damit aus einer ganz normalen Stadt eine Smart City werden kann, muss idealerweise die gesamte städtische Umgebung über Sensoren verfügen, die miteinander und mit den Menschen, die in der Stadt leben, vernetzt sind.
Ich selbst arbeite seit über zehn Jahren als Product Owner (PO) immer wieder auch für große Energieversorger – die zu den Akteuren der Smart Citys gehören. Dort kam ich das erste Mal mit diesem Thema in Berührung. Weil es mich sehr reizt, Aufgaben zu übernehmen, die einen noch größeren Impact auf die Lebenssituation von Menschen haben, absolvierte ich eine Ausbildung beim Fraunhofer Institut zum Smart-City-Experten. Seither entwickle ich Smart-City-Lösungen; derzeit ist es eine Smart-City-Plattform, die den Bürgern als App zur Verfügung steht und ihr Leben in der Stadt effizienter und lebenswerter gestalten soll.

Fokus auf die Bürger? Oder auf die Prozesse?

Bei der Entwicklung einer Smart-City-Plattform gibt es zwei Perspektiven, die ich als PO einnehmen kann: Entweder ich mache das Leben für die Bürger in der Stadt lebenswerter oder ich mache die Prozesse für die Bürger effizienter und reduziere damit die Ausgaben für alle Prozesse der Kommune. Es gibt durchaus Fälle, in denen beiden Zielen gedient wird: Wenn beispielsweise Bürger ihren Pass ganz einfach über ein biometrisches Identifikationsverfahren verlängern lassen können, dann nützt das sowohl ihnen als auch den Prozessen der Kommune. Oder wenn öffentliche Abfalleimer mit Sensoren ausgestattet sind, die quasi eigenständig die Müllabfuhr bestellen und die entsprechende Tourenplanung anstoßen, sobald sie voll sind: Dann profitieren die Bürger der Stadt davon, dass der Abfall nicht auf der Straße herumliegt, und die Verwaltung bzw. Abfallwirtschaft zieht wirtschaftlichen Nutzen daraus, dass die Tourenplanung zur Müllabfuhr bedarfsgerecht und automatisiert erfolgt.
Der Normalfall ist jedoch, dass man als Entwickler eine Entscheidung treffen muss: Fokussiere ich mich mit der Smart-City-Plattform auf die Bürger oder auf die Prozesse? Mein Votum fällt eindeutig aus: Am besten ist es, eine solche Plattform bürgerfokussiert zu entwickeln, denn es geht in erster Linie darum, den Menschen in der Stadt eine schöne Umgebung zu bieten. Die Reduzierung der Prozesskosten ist ein Effekt, der sich danach oft ganz von allein einstellt.

Die wichtigsten Themen: Mobilität und Bezahlfunktion

Was sind nun die Hauptkomponenten einer bürgerorientierten Smart-City-Plattform? Mit welchen großen Themen muss man sich beschäftigen?
Das erste wichtige Thema lautet Mobilität. Als Bürger will ich wissen: Wie bewege ich mich in der Stadt? Wie komme ich von A nach B? Weil die Stadt grundsätzlich die Infrastruktur bereitstellt, dank derer Mobilität überhaupt stattfinden kann (Straßen, Schienen, Gehwege), spielt Mobilität immer eine wichtige Rolle für die Smart City. Ziel muss es sein, dass die Smart-City-Plattform alle Angebote sämtlicher Mobilitätsanbieter vereinigt und dem Bürger eine übergreifende Lösung anbietet. In der Praxis kann dies bedeuten, dass der Bürger in die App eingibt: „Ich möchte von A nach B kommen“ und die App ihm sagt: „Sobald du das Haus verlässt, steht vor deiner Tür ein E-Scooter bereit, mit dem fährst du zur S-Bahn-Station, dort nimmst du die Bahn, fährst zu deiner Haltestelle, von dort an gehst du noch 150 Meter zu Fuß und bist am Ziel“.
Quasi im selben Atemzug stellt sich die Frage nach den Tickets für die Fahrt bzw. den Kosten. Deshalb ist eine integrierte Bezahloption das zweite große Thema bei der Entwicklung einer Smart-City-Plattform. Über dieses „Infrastructure Payment“, wie ich es nenne, soll alles abgerechnet werden können, was der Bürger an zahlungspflichtigen Optionen nutzt. In einer Smart City muss der Bürger nichts mehr separat bezahlen. Er geht aus dem Haus, kauft Frühstücksbrötchen ein, geht ins Schwimmbad, ins Museum, nutzt die Straßenbahn, lässt seinen Pass verlängern, stellt das Auto in ein Parkhaus, und alle Zahlungen erledigt er über die Smart-City-App und damit das Smartphone. Am Tages-, Wochen- oder Monatsende bekommt der Bürger dann eine Abrechnung darüber.

Reale Nutzer und deren virtuelle Zwillinge

Technisch wird dies über einen sogenannten Virtual Twin gelöst – einen virtuellen Zwilling des jeweiligen realen Nutzers. Der reale Nutzer kann seinem virtuellen Zwilling verschiedene Authentifizierungsgrade und -merkmale zuweisen (z. B. PIN, Biometrie, Führerschein, Versichertenkarte oder Personalausweis). Abhängig davon kann der reale Nutzer verschiedene Angebote in der Smart-City-App in Anspruch nehmen. Wenn er beispielsweise nur PIN oder Biometrie freigegeben hat, kann er den Mängelmelder der Stadt nutzen – hierfür ist kein hoher Standard nötig. Hat er seinen virtuellen Zwilling mit seinem Personalausweis verbunden, kann er einen Reisepass beantragen oder verlängern. Erstreckt sich die Freigabe zusätzlich zum Personalausweis auch noch auf den Führerschein und eine Bezahlmethode, so kann er sich nur durch das Vorzeigen und die Authentifizierung eines virtuellen Zwillings ein Auto ausleihen. Wie weiter oben schon geschildert, bewegt sich ein realer Nutzer auf dieser Basis durch die Stadt und kann die kostenpflichtigen Angebote durch seinen virtuellen Zwilling „registrieren“ lassen – entweder automatisch (z. B. im Parkhaus via Lokation) oder manuell (z. B. über den Scan eines QR-Codes im Schwimmbad). Ist der virtuelle Zwilling mit einer Bezahlmethode verknüpft, erhält der reale Nutzer eine Rechnung bzw. Abbuchung. Die Smart City „verteilt“ das Geld dann an die einzelnen Händler oder Anbieter.
Fast alle Menschen weltweit besitzen bereits einen virtuellen Zwilling – in den Social-Media-Apps von Facebook und Instagram beispielsweise. Die stetige Verfeinerung und Verbesserung dieser virtuellen Zwillinge dient jedoch lediglich dazu, den Profit der anbietenden Unternehmen zu verbessern. Die Absicht eines virtuellen Zwillings in einer Smart City ist im Gegensatz dazu nicht profitorientiert, sondern bürgerorientiert: Das Leben der Bürger soll lebenswerter gemacht werden.

Vernetzung und gesetzliche Grundlagen

Ein weiteres großes Thema bei der Entwicklung einer Smart-City-Plattform lautet Konnektivität – die Verbindung reeller Menschen und Organisationen. Von Einzelhandelsgeschäften, Unternehmen, Vereinen über Freunde, Familie und Arbeitgeber pflegt jeder Bürger sein ganz individuelles Netz aus Handels- und Privatbeziehungen, das zum Teil auch in der Smart-City-Plattform abgebildet werden kann. Nicht nur individuelle Personen, sondern auch Händler und Unternehmen können in der Smart-City-Plattform einen virtuellen Zwilling haben, sodass sie hier den Bürgern ihre Produkte und Dienstleistungen verkaufen können, wenn sie technologisch entsprechend ausgestattet sind und das, was sie in ihren Läden real präsentieren, auch virtuell anbieten.
Damit dies gelingt, braucht es eine gesetzliche Grundlage: Das regulierende Organ muss vom ausführenden Organ getrennt sein. Facebook mag sich seine eigenen Regeln geben können und selbst darüber entscheiden, wie es mit rechtswidrigen Handlungen seiner Nutzer umgeht. Wenn jedoch auf einer Smart-City-Plattform beispielsweise ein Händler von einem Nutzer geprellt wird, muss die Exekutive sofort reagieren können. Parallel zur Smart-City-Plattform muss sich also auch die Judikative entsprechend entwickeln, wenn diese Form von Vernetzung, Lebensqualitäts- und Effizienzsteigerung in den großen urbanen Zentren dieses Planeten eine sichere Zukunft haben soll.